"Unser Marketing ist fantastisch – die schicken uns mehr qualifizierte Leads, als wir abarbeiten können!”
Niemals jemals habe ich das ein Sales Team sagen hören. Das würde auch die eigene Rolle schmälern im Kampf um die Position als Königsmacher. Gewöhnlich geht es in die Richtung "Das Marketing weiß nicht, wen wir brauchen – die wirklich guten Leads generieren wir selbst".
Was stimmt: Ein Lead ist erst einmal wenig wert. Zu Beginn besteht er aus nicht viel mehr als einem adressierbaren Kontakt samt den Infos aus einem Formular. Das alles interessiert Sales nicht. Die wollen klare Kaufabsichten. Und hier startet der Frust zwischen Marketing und Sales: Das Marketing findet, Sales macht zu wenig aus den überreichten Leads. Und Sales findet, Marketing könnte echt mal besser vorqualifizieren.
Genau hier kommt Lead Scoring ins Spiel. Wie wäre es, wenn man die Leads vorab so bewerten könnte, dass die Kaufabsicht über Indikatoren frühzeitig und am besten auch gleich automatisch erkannt und bedient wird?
Lead Scoring stuft potenzielle Kunden anhand einer Skala ein, die den wahrgenommenen Wert jedes Leads darstellt. Ein Punktesystem bestimmt, welche Leads als wertvoll eingestuft und mit Priorität angesprochen werden sollen.
Beispiel-Schema für Automatisiertes Lead Scoring
Und so funktioniert Lead Scoring
Ein Scoring berechnet einen Wert anhand vorher definierter Aktionen.
Ab Erreichen einer festen Punktzahl werden die Leads in eine dynamisch erzeugte SQL-Liste überführt, die sie zu weiteren Aktionen qualifiziert.
Hier werden die Adressen mit Automatisierungsprozessen verbunden, die bestimmte Trigger auslösen: Zum Beispiel ein besonderes gutes aber zeitlich limitiertes Angebot an alle, die einen Scoring-Wert von über 90 haben.
Relevante Aktionen werden also in Punkte übersetzt. Diese können aus unterschiedlichsten Quellen stammen – intern, extern, zugekauft oder vom Nutzer erstellt. Prinzipiell kann jeder Datenpunkt Scoring-relevant sein, er muss nur hinreichend eindeutig sein, damit es nicht zu Fehlinterpretationen kommt.
Ziel des Scorings ist es, aus dem Strom der Daten auf magische Weise verkaufsbereite Kontakte zu destillieren. Generell gibt es zwei Arten von Indikation:
Explizite Faktoren sind eindeutige Informationen wie Adresse, Alter, Wohnort, Browser, Einkommen, etc..
Implizite Faktoren sind verhaltensabhängige Interaktionen, die Kaufinteresse signalisieren. Hierzu gehören Formulareinsendungen, Seitenaufrufe, Event-Teilnahmen, etc. Sie müssen interpretiert werden. Je besser dies gelingt, umso aussagekräftiger werden sie.
Die Vorteile automatisierten Qualifyings liegen auf der Hand
Vorqualifizierte Leads sind attraktiver, der Prozess ist weniger zeitaufwendig.
Interessenten ohne Kaufabsicht werden überflüssige Sales-Aktivitäten erspart.
Das Marketing versteht besser, welche ihrer Aktivitäten wirklich zu abschlussfähigen Kontakten führen.
Plattformanbieter versprechen automatische Aufwertung vom MQL zum SQL
Anbieter wie Hubspot versprechen, mit ihren Scoring Mechanismen Umsätze schneller und vorhersehbarer zu steigern, so dass sich Marketiers ganz auf das Füllen des Trichters mit Leads konzentrieren können. Das Tool filtert aus allen Marketing Qualifizierten Leads (MQL) die Sales Qualifizierten Leads raus. Sales muss nur noch abgreifen.
Attributvergabe bei Hubspot
Hier ist das Thema:
Automatisiertes Marketing Scoring bringt in 2 von 3 Fällen nicht das erhoffte Ergebnis. In der Praxis gilt es als umständlich, komplex und sogar fehlerhaft
Die größte Hürde: ein schlechtes Punktesystem
Die größte Herausforderung steckt in der Ermittlung der richtigen Punktwerte. Am besten führen diese Zuordnung Daten-Analysten durch. Die sind aber oft gar nicht mit an Bord. Dann sind es die Marketingexperten selbst, die sich auf ihr Bauchgefühl und ihre Annahmen verlassen müssen – und natürlich gerne Punkte an Fährten heften, die sie selbst gelegt haben. Wer eine selbst erstellte Studie zum Download anbietet oder viel Arbeit in eine animierte Landingpage investiert hat, wird diese Aktionen besonders hoch bewerten. Marketiers sind halt auch nur Menschen.
In Wahrheit stehen jedoch viele Aktivitäten weit vor jeder Kaufabsicht – und das ist auch gut so, weil jede Interaktion die nächste wahrscheinlicher macht. Nur verliert man auf dieser Strecke eben auch immer sehr viele Menschen, für die das Angebot weder attraktiv noch relevant ist.
So laden Wettbewerber sehr gerne Deine Studien herunter. Auch Studenten machen für Hausarbeiten regen Gebrauch von Deinen Informationen. Sie werden niemals Dein Produkt kaufen können, so viele Punkte sie auch im Scoring erreichen. Und was machst Du mit dem Praktikanten, der seine Recherche-Ergebnisse in einer Excel-Tabelle teilt und so weitere fünf Personen in den Prozess hineinzieht – erkennt dies Dein System und addiert die Punkte?
Viele glauben, dass Lead Scoring ein Prozess ist, den man eben starten und verfeinern muss. Wie alles andere wird das Scoring mit Übung und Zeit schon besser.
Das ist zweifelsohne richtig. Da aber das Scoring entlang der gesamten Customer Journey stattfindet, sind damit die Möglichkeiten zur Verbesserung schier grenzenlos: Man könnte neue Zielgruppen definieren, andere Kampagnen und Engagements starten, neue Inhalte produzieren oder sich auf Kanäle mit besserem ROI konzentrieren. Die wenigsten Marketiers haben die Zeit und Ressourcen, um ihr Scoring ständig anzufassen und die inkrementellen Erkenntnisse in immer neue Punktesysteme zu überführen.
Die Folgen sind erheblich:
Je statischer das Scoring, umso unpräziser. Je präziser, umso volatiler – schließlich müssen Scoring-Modelle fortlaufend an neue Marketing-Assets, Produkte und Customer Insights angepasst werden.
Gute firmenbezogene und demografische Bewertung erfordern eine große Menge Daten. Es gibt Plattformen, die diese proprietäre Datenbanken erwerben, durchsuchen und so zusammenzustellen, dass Kunden diese vergleichen und bewerten können.
Scorings verwenden in der Regel Daten, die vom Marketing erfasst werden können – sie sind es ja schließlich auch, die den Kontakt führen. Auf der Strecke bleiben dabei gerne wichtige Signale für das Kaufverhalten, wie die finanzielle Situation oder die Strategie des Unternehmens.
Nicht immer ist der Lead auch der Käufer. Das gilt insbesondere bei mittleren oder größeren Unternehmen – hier sind es in der Regel Recherche-Teams, die Entscheidungen vorbereiten – die dann aber von der Geschäftsführung, dem Einkauf, der IT oder dem Aufsichtsrat entschieden werden. Die meisten Lead-Scoring-Verfahren sind nicht in der Lage, diese verdeckten Kräfte aufzudecken und für sich zu nutzen.
Die Lösung: datenbasierte Kriterien statt Hypothesen
Besser ist, das Pferd von hinten aufzuzäumen: Ohne das Wissen um echten Kundenbeziehungen können Marketingexperten unmöglich wissen, was eine Kaufabsicht ausmacht. Dazu kommt: Selbst wenn sie es genau wüssten, könnten sie die relative Bedeutung der einzelnen Interaktionen zueinander nicht abwägen.
Von Zendesk gibt es die Anekdote, dass sie nach dem Zufallsprinzip unqualifizierte Leads testen, um herauszufinden, wie viel besser die bewerteten Leads bei der Kontaktaufnahme durch den Vertrieb abschneiden. Ihr Ergebnis: es gibt keinen statistischen Unterschied – weder bei der Kontaktaufnahme noch beim Re-Engagement oder dem Abschluss.
Predictive-Lead-Scoring
Plattformen wie Infer, Lattice oder neuerdings MixPanel kommen dem ursprünglichen Versprechen des Lead Scorings sehr viel näher, indem sie automatisch die Signale identifizieren, die die Konversion vorantreiben und der Kontaktdatenbank entsprechend zuordnen. Tools wie diese sind Dein statistischer Assistent.
Auch Hubspot: bietet "Predictive scoring, powered by machine learning" an
Mithilfe komplexer Algorithmen werden beim Predictive Lead Scoring kontinuierlich verschiedenste Signale ausgewertet, z. B. Web-Aktivitäten, Daten von Drittanbieter-Websites, In-App-Verhalten, Demografie oder Verkaufsengagements. Ziel ist, die Auswirkungen der einzelnen Variablen (oder ihrer interaktiven Effekte) auf die Konversion zu ermitteln.
Auf der Grundlage historischer Ergebnisse möchten diese Anbieter dann vorhersagen, wie wahrscheinlich es ist, dass zukünftige Leads, die ähnliche Kriterien erfüllen, konvertieren. Auch wenn die Ergebnisse je nach Unternehmen und Geschäftsmodell variieren – die Modelle werden ausgefeilter und der Predictive Lead Score hat das Potenzial, genauer zahlende Kunden zu identifizieren. Noch ist Predictive Lead Scoring ein fehleranfälliges, da komplexes Modell.
Was Marketiers wirklich wissen müssen, um ein funktionierendes Scoring aufzubauen, ist, was alle Kunden eint. Und hier sind wir wieder eher bei der Zielgruppe als beim Verhalten. In dem Moment, in dem ich einen Kontakt aus meiner Zielgruppe identifiziere, habe ich genug Informationen, um diesen zu einem Kunden zu konvertieren.
Hierzu müssen drei Fragen beantwortet werden:
Ist das Unternehmen aus meiner Zielgruppe?
Welche Rolle hat der Kontakt im Unternehmen?
An welcher Stelle der Customer Journey befindet sich der Kontakt?
Das Unternehmen zu identifizieren ist vergleichsweise einfach. Es gibt Datenbanken, die einen Kontakt automatisch mit Informationen aus offen verfügbaren Datenbanken anreichern. Hubspot bietet sowas frei Haus an. Fehlen diese Informationen, müssen sie manuell nachgetragen werden. Eine Kontrolle externer Daten empfiehlt sich in jedem Fall.
Den Kontakt zu bewerten, ist etwas aufwendiger. Aber auch hier helfen offene Plattformen und Plugins, die automatisch nach diesen Personen in sozialen Netzwerken oder auf Google suchen. So weißt Du, ob es sich um eine budgetverantwortliche Person handelt oder sie eventuell einer solchen Position zuarbeitet. Dieser Marker sollte unbedingt händisch gesetzt und auch für Kollegen nachvollziehbar sein, damit um diese Information herum eine Automatisierung aufgebaut werden kann.
Kommen wir zu den impliziten Daten.
Was sind Klicks, Downloads und Webinar-Teilnahmen wert?
Fangen wir umgekehrt mit der Frage an, was es bedeutet, wenn sie fehlen. Die Wahrheit haben wir bei Zendesk erlebt: Es macht keinen Unterschied.
Aber halt – sind denn implizite Daten zu gar nichts gut? Sie sollten keinesfalls unterschätzt werden. Implizite Daten sagen zwar nichts über die Relevanz des Kontaktes aus, aber sehr wohl über den Aufenthalt in der Customer Journey.
Hierzu ein kurzer Ausflug in die Customer Journey. Ganz grob unterscheiden wir vier Phasen:
Interesse
Recherche
Kauf
Nutzung
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist König im Recherche-Land?
Die intensivste Phase ist tatsächlich die zweite Phase, in der je nach Produktgattung bis zu 1.000 so genannte “Micro Moments” (ergo: Suchen) anfallen, bevor es zum Kauf kommt. In diesen Recherchen geht es um vieles: Leistung, Preis, Verfügbarkeit, Service, Roadmap, Skalierung, Schnittstellen, Add-ons, Wettbewerber, Reputation, Service usw..
Sprich die Probleme deiner Kunden an und löse sie. Dann hast fast unendliche Ansatzpunkte für den Erstkontakt, bevor sich der Funnel auf ein Produkt oder Anbieter konzentriert.
Wo genau steht dein Lead?
Wo der potenzielle Lead gerade steht, sagen dir eben nur die impliziten Daten. Und ob es sich lohnt, diesen Lead durch seine Customer Journey zu führen.
Und natürlich lassen sich aus Interaktionen eben doch Kaufabsichten ableiten – aber eben vor allem durch das Verständnis, wo sich der Nutzer in der Customer Journey befindet.
Die manuelle Lead-Bewertung hilft also, sich darauf zu konzentrieren, worauf es im Marketing wirklich ankommt: Leads. Aus der definierten Zielgruppe. Mit einem Verständnis für den Bedarf an der “next best activity”.
So klappt’s mit dem Lead Scoring
Du willst Lead Scoring, und Du willst es jetzt? Dann nutze es selektiv. Und zwar, indem Du Touch Points mit Punkten versiehst, die Dir helfen, schneller relevante Leads zu erkennen und in den Topf mit der “bevorzugten Spezialbehandlung” zu überführen.
Und so gehst Du vor:
Zielgruppe
Entscheide, wen du wirklich adressieren willst. Beispielsweise:
Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern (explizit)
Kontakte aus Einkauf, Produktentwicklung und Geschäftsführung (explizit)
Kaufabsicht innerhalb der nächsten 12 Monate (implizit)
Touch Points schaffen
Du brauchst also 3 Informationen. Hierfür schaffst Du die richtigen Inhalte, wie Webinare, eBooks und Newsletter.
Am Anfang fragst Du nur 3 Datensätze ab:
Name, Vorname
Unternehmen
E-Mail
Achte auf eine gute Customer Experience: Kampagnen, Landing Pages, E-Mails und Formulare sollten hochwertig, konsistent und aktuell sein.
Lead Nurturing
Das Seminar ist gehalten, das Paper heruntergeladen und das Newsletter Abo läuft. Und jetzt? Schaffe eine Beziehung, in der Dein Kontakt über einen längeren Zeitraum Gelegenheit hat, sich als Interessent zu erkennen zu geben und mit Dir Kontakt aufzunehmen. Unternehmen, die alle 2 bis 4 Wochen einen Kontakt herstellen, verdoppeln ihre Abschlusswahrscheinlichkeit.
Matchwinner: Spezifische Informationen für das jeweilige Ressort: “So unterstützt unser Produkt Dein Management / Geschäftsführung / Einkauf”.
Datenqualität
Versuche parallel, zu Deinem Lead so viele und so valide Daten wie möglich herauszufinden. Hierzu gehören
Anzahl der Mitarbeiter. Die Größe des Unternehmens ist ein guter Indikator für die Komplexität des Vertriebs
Teamgröße. Hilft bei Preisgestaltungsmodellen auf Seat-Basis
Produktinteresse: was genau ist das Problem, das gelöst werden soll – und wie kannst Du helfen?
Evaluierungsstatus: Indikator für den Bedarf, sprich: kaufen sie jetzt oder in 3, 6, oder 12 Monaten?
Nutzungs- oder Volumenmetriken: Hilfreich für Preismodelle hinsichtlich Datenvolumen, Seitenaufrufe, Streamingminuten, API-Abrufe, etc.)
Call To Action
Immer dabei: der Call-to-Action: erhöhe die Attraktivität für eine Demo oder Testversion mit befristeten Angeboten oder einem VIP-Service (z. B. Kalkulation der Kosteneinsparung mit Deinem Produkt)
Hot Leads betreuen
Hot Leads – also Leads mit einer klaren Kaufinidikation erhalten mit intelligenten Segmentauslösern automatisch einen besonderen Status und kommen in den händisch gepflegten Verteiler. Auslöser sind wichtige Aktionen oder Ereignisse – wie die Aktivität im Service Chat oder das Buchen einer Demo.
Das führt z. B. dazu, dass der Lead einen UTM-getaggten Link mit dem Terminkalender eines besonders bewährten Sales-Mitarbeiters erhält, der z. B. bei der Einrichtung eines Probe-Accounts hilft.
Sobald der persönliche Kontakt hergestellt ist, kann dieser entweder mit dem Lead chatten oder personalisierte Nachrichten schicken. Das Heben auf die persönliche Ebene verbessert die Position, mehr und bessere Daten zu erhalten und direkt auf die Wünsche einzugehen.
Praxisbeispiele für automatisches Lead-Scoring
Ein Kunde registriert sich, wird aber nicht aktiv. Er erhält Mails mit Erfahrungsberichten von Nutzern, die den Schritt gewagt haben, verbunden mit einer Übersicht über FAQ zu “Wie fange ich an?”
Ein "langsam beginnender" User führt in den ersten 48 Stunden keine Aktionen durch? Du lädst ihn zu Eurem wöchentlichen Live-Q&A ein.
Ein erfahrener Bestandskunde konfiguriert eine wichtige Integration falsch: Dies löst eine In-App-Nachricht aus, die auf einen Hilfeartikel verweist.
Ein neuer Kunde nutzt sehr schnell selbst komplexe Funktionen fehlerfrei: er wird zu einer persönlichen Fragerunde eingeladen, in der Du ihn bittest darzulegen kann, welche Funktionen er vermisst.
Biete aktuelle Insights, Demo-Angebote und kleine Goodies für Neueinsteiger (z.B. 1 Monat in eine höhere Lizenz) und für Power-User an. Dies stellt sicher, dass Deine Nutzer frühzeitig die Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigen, und zielt darauf, positive Produkterlebnisse zu schaffen, auf die sich operative Teams konzentrieren und Führungskräfte tracken können.
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